Der Tanz der Schäfflerin by Yngra Wieland
Autor:Yngra Wieland [Wieland, Yngra]
Die sprache: eng
Format: epub
Herausgeber: Burgenwelt Verlag
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00
Die Vier Kleinen Kreise
Sylvester sprang von dem Karren und rieb sich seine schmerzende Kehrseite. Er rief dem Bauer Dank zu und ging eilig seines Weges. Obwohl er kaum Rast gemacht hatte, hatte er fast eine Woche gebraucht, um nach Augsburg zu gelangen. Immer wieder musste er sich vor versprengten Söldnertrupps verbergen, die, von Hunger und Unmut getrieben, alles niedermetzelten, was ihnen in den Weg kam.
In einem Wäldchen hinter dem Ort Pasing hatte eine Frau am Wegrand gelegen. Als Sylvester sich besorgt über sie gebeugt hatte, um zu sehen, ob sie am Leben sei, hatte ihn ihr Kumpan von hinten mit einem Knüppel angegriffen. Einmal mehr war Sylvester um das Messer froh gewesen, welches er im Gürtel trug. Es schnitt Brot, Speck und, wenn es notwendig war, schlitzte es Bäuche oder Nasen auf, wie jetzt im Fall des Wegelagerers. Wegen des hohen Wasserspiegels des Lech, dem eine Brücke zum Opfer gefallen war, hatte er einen weiten Umweg in Kauf nehmen müssen.
Der Bauer mit dem Eselskarren hatte ihn das letzte Stück Weg mitgenommen und sie schafften es gerade noch, durch die Stadttore Augsburgs zu gelangen, bevor diese zur Nacht geschlossen wurden. Trotz seiner schmerzenden Knochen und dem Bärenhunger, der ihn seit dem Morgen quälte, schritt er schnell aus. Um jeden Preis wollte er den Dom noch vor Einbruch der Dunkelheit erreichen. Die Hoffnung, dass Bruder Onophrius noch im Kloster lebte, trieb ihn vorwärts. Während er durch die einsetzende Dämmerung stapfte, überlegte er, wie alt Onophrius wohl gewesen war, damals, als Sylvesters Leben einen Riss bekommen hatte. Zwölf Jahre war es her.
Er blieb stehen. Der Mariendom warf lange spitze Schatten. Flammend rot spannte sich der Himmel über den Türmen. Es sah aus, als ertränke die Sonne in einem Meer aus Blut. Sylvester lief ein Schauer über den Rücken.
»Geh weg!«, flüsterten die Schatten der Vergangenheit, die sich drohend aus der Gasse erhoben.
»Flieh, bevor es zu spät ist!«
Sylvester wandte den Blick von dem blutigen Himmel ab und betrat trotzig das Wirtschaftsgebäude des Domes. Es dauerte nicht lange, bis er herausgefunden hatte, dass Bruder Onophrius nicht mehr im Kloster des Mariendoms lebte. Keiner konnte Sylvester sagen, was aus ihm geworden war. Wütend ballte er die Faust und hieb sie in die Handfläche. Sein Plan schien unter keinem gutem Stern zu stehen. Seit er Wiguläus in Begleitung des Hofpredigers selbstgefällig über den Marktplatz hatte schreiten sehen, war die Sicherheit, die er sich mühevoll Stück für Stück zurückerobert hatte, ins Wanken geraten und drohte einzustürzen wie der Turm zu Babel.
Ratlos stand er auf der Gasse. Es war inzwischen fast dunkel und er brauchte eine Unterkunft für die Nacht. Ohne sich noch einmal umzuschauen, schlug er die Richtung zum Haus der barmherzigen Seelnonnen ein.
»Bitte lass Adelgund noch am Leben sein. Bitte lass sie am Leben sein.«
Er wusste selbst nicht, wen er so inbrünstig im Takt seiner Schritte um diesen Gefallen bat.
Eine blutjunge Seelnonne führte ihn in die kleine Kammer. Obwohl Adelgund so gut wie blind war, hatte sie ihn gleich erkannt. Die alte Seelnonne war schwach, ihr Lager konnte sie nur noch selten verlassen.
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